Ich bin's!


Früher war ja alles anders. Man lebte, man aß, man schuftete, man poppte und starb. Etwas später ging es dann darum, besser zu leben, besser zu essen, weniger zu schuften, auch die Frau des Chefs zu poppen und komfortabler zu sterben. So weit, so schön und übersichtlich.

Dann jedoch kam der Moment der Erleuchtung, die Geburt der Selbsterkenntnis (irgendwann in den 70ern dürfte das gewesen sein, als das Zeitalter des Wassermanns in der Wasserpfeife und den benebelten Gehirnen blubberte). Heureka!, da war sie also, die Erkenntnis des Wertvollsten, des Selbst, des ICH, - und die wenigsten kamen mit ihr klar.

Selbsterkenntnis ist eine feine Sache, wenn sich das Erkennen lohnt. Was aber, wenn ich meiner Selbst wahrhaft angesichtig werde und kotzen könnte? Da steh ich nun, vor messerscharfem Blick meines Alter Ego; abgerissen, langweilig, verludert und verdreht, kein schönes Bild, sag ich mir. Verheerend, da nun Person und Persönlichkeit zum Statussymbol erhoben ward. Geputzt und poliert,


hochgerüstet und ausstaffiert wollte diese neue Errungenschaft werden! Und so geschah es.

Ob Töpferkurs auf den Malediven, Bauchtanz in Castrop-Rauxel, Buddhismus, Zen, Tantra, Yoga, Klangschalentherapie, Archetypenlehre, NLP ... und das berühmte Jodeldiplom prunkte an der Wohnzimmerwand.

Zahllosen Schreiberlingen gelang der nahtlose Schulterschluss zwischen Eigenbedürfnis und Fremdbedarf, indem sie in Lebenshilfebüchern sich und den Artgenossen die Birne weich und das Ego bunt säuselten. Finde Dich selbst, aber bleib dabei ganz Du selbst! Aber ist das schöne Ich automatisch auch das wahre Ich? Ist das wahre Ich automatisch schön?

Bescheidene Geister verzweifelten schon an dem physischen Widerspruch, dass sie einen BMI von 33 herumtragen, obwohl ihr wahres wunderbares Ich doch gertenschlank sein solle. Welches Ich will dann permanent die Pommes?


Welches ist das Richtige und welches das Falsche? Wie viele gibt’s überhaupt?

Das Ergebnis der Entwicklung ist nach dem Gesetz "wie innen, so außen" jederzeit ablesbar. Gepierct, gefärbt, tätowiert, implantiert laufen die humanoiden Ersatzteillager durch ihre selbstbefriedigte Existenz und verkünden jedermann stolz:

"Meine Mutter erkennt mich zwar nicht mehr, aber ich habe mich endlich selbst gefunden!"

Herzlichen Glückwunsch!


...auch hier gibt es ein Zurück!